Montag, 16. Juni 2014

Spieglein, Spieglen in meinem Kopf

In diesem Artikel will ich über ein Phänomen unseres Primaten-Gehirns sprechen, dass meiner Meinung nach einen großen Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg in Deinem Training haben kann. Das Phänomen sind die sogenannten Spiegelneuronen, spezielle Nervenzellen in der Großhirnrinde, die aktiv werden, wenn ein Primat einen Artgenossen bei einer Aktivität beobachtet. Die Spiegelneuronen im Gehirn des Beobachters zeigen die gleichen Aktivitätsmuster, als würde die beobachtete Aktivität selbst ausgeführt. Übersetzt heißt das, wenn Du jemandem bei einer Liegestütze zuschaust, läuft in Deinem Gehirn das gleiche Muster ab. Die Wissenschaft ist sich derzeit noch nicht einig in wie weit diese Spiegelneuronen einen Einfluss auf die Fähigkeit von Primaten haben beobachtete Verhaltensweisen zu imitieren. Meine Erfahrung als Trainer weißt allerdings klar darauf hin, dass der Einfluss ziemlich stark sein muss. Warum erkläre ich im folgenden Artikel.


Ein neugebohrener Affe immitiert Gesichtausdrücke (Quelle: Wikipedia)

Besonders deutlich wird die Wirkung der Spielgelneuronen bei Kindern. Sie amen die Aktivitäten oder Verhaltensweisen von Erwachsenen - und besonders die eigenen Eltern - ungefiltert nach. Wenn man Jugendliche zusammen mit ihren Eltern sieht kann die Familienzugehörigkeit häufig schon anhand der identischen Körperhaltung/Bewegungsmuster erkennen.

Der Trainer als Kopiervorlage

Natürlich wirkt dieser Effekt auch im Sport. Wer viel Kontakt mit unterschiedlichen Sportlern hat, kennt es: Man kann oft schon anhand von unbewussten Verhaltensweisen diejenigen identifizieren, die häufiger zusammen trainieren. Besonders Trainer haben hier eine dramatische und häufig unterschätzte Wirkung. Als Trainer kann ich 1000 mal erklären wie eine Übung korrekt ausgeführt wird - wenn ich diese bei der Demonstration anders ausführt als beschrieben werden alle Schüler das nachahmen, was sie gesehen haben und nicht das, was ich ihnen erklärt habe. In diesem Zusammenhang muss man auch erwähnen das die Sprache menschheitsgeschichtlich eine relativ neue und abstrakte Erfindung ist - unsere Vorfahren sind über viele Generationen ohne diese ausgekommen. Auch darum ist eine Demonstration viel effektiver als eine verbale Erklärung.
In unseren RKC Kettlebell Kursen achten wir darum genauestes darauf, dass ein zukünftiger Kettlebell Instruktor alle Techniken, die er später unterrichten möchte, auch selbst fehlerfrei ausführen kann. Wir definieren exakte Standarts, die sicher stellen, dass die Technik für jeden, der sie entsprechend ausführt, sicher ist. Ein junger und sportlicher Trainer kann unter Umständen über Jahre mit einer unsauberen Technik davonkommen und trotzdem Fortschritte machen - ahmt ein übergewichtiger 50+ jähriger, der nach Jahre der Inaktivität wieder in Schwung kommen will, die gleiche Technik nach, ist das Scheitern schon vorprogrammiert.

Mein Appell, fallst Du selbst Trainer bist: Achte bitte genau darauf, dass alles, was Du im Training machst so "narrensicher" ist, dass keiner, der es nachmacht, einen Schaden davon tragen kann. Die Versuchung ist groß eine für Dich leichte Hantel mit weniger als dem gebotenen Respekt zu behandeln - aber was, wenn Dein Kunde Dein Verhalten imitiert?
Lerne alle Übungen die Du vermitteln willst bis ins kleinste Detail so dass Du eine Technik zeigen kannst die für alle Deine Schüler sicher ist.

Alle die selbst mit einem Trainer trainieren (was jeder tun sollte) sollten diesen kritisch beobachten. Achtet er darauf das was er Dir erklärt auch selbst zu tun? - falls nein ist Vorsicht geboten, da der Prozess der Imitation von Verhaltensweisen zu großen teilen unbewusst abläuft.
Wenn man den letzten Absatz liest könnte man auf den Gedanken kommen, dass diese Spielgelneuronen hauptsächlich ein Risiko darstellen sich Untugenden anzueignen - aber das Gegenteil ist der Fall! Durch diesen Mechanismus ist es möglich neue Übungen viel schneller und effektiver zu erlernen als es im Eigenstudium möglich wäre.

Spielgelneuronen als Kickstarter

Die macht dieser Spiegelneuronen wurde mir bei einer Begebenheit besonders bewusst, die schon ein paar Jahre zurückliegt: Damals hatte ich selbst einige Wochen damit verbracht mir ein kleines Kunststückchen beizubringen. Ich hatte geübt aus dem L-Sit auf zwei Kettlebells gestützt mit einer Vorwärtsrolle in den Kopfstand zu wechseln ohne dabei den Boden zu berühren. Es kostete mich einige Wochen regelmäßiger Übung um diesen kleinen Stunt soweit zu perfektionieren, dass er fast immer klappte. Stolz auf meine neu erworbene Fähigkeit führte ich diese vor und war erstaunt, dass 2 von 6 Zuschauern es mir praktisch sofort nachmachen konnten. Mich hatte es Wochen gekostet, sie nur wenige Sekunden - wie ungerecht!
Mein erster Muscle Up (Klimmzug bis hoch in den Stütz) gelang mir in einer ähnlichen Situation, nämlich unmittelbar nachdem ich meinen Freund Moritz Rammensee dabei beobachten konnte. Obwohl ich bereits seit einigen Monaten das Gefühl hatte nahe dran zu sein, ist es mir alleine doch nie gelungen, mich über die Stange zu wuchten. Beim Beobachten von Moritz' Muscle Up an Ringen auf der Fibo, hat es dann klick gemacht und ich konnte es unmittelbar reproduzieren.
Bei einer anderen Gelegenheit hat Leon Wermaker, ebenfalls ein Freund und Instruktorenkollege von mir, mir durch sein Verhalten gezeigt, dass er sich der Macht der Spielgeneuronen bewusst ist: als ich ihm sagte, dass ich den nächsten Lift möglicherweise nicht schaffen würde, verlies er fluchtartig den Raum bevor ich an der Reihe war. Später erklärte er mir, dass er nicht bei einem Fehlversuch zuschauen wollte, bevor er selbst an der Reihe war.

Spieglein, Spieglein an der Wand

Eine weitere Situation, in der die Spiegelneuronen uns unbewusst ein Bein stellen können, ist das Training vor einem Spiegel. Wer sich selbst beim Training beobachtet hat gleich zwei Nachteile: erstens bringt ihn der Mechanismus der Spiegelneuronen dazu, sich sozusagen selbst zu imitieren (also keine Fortschritte zu machen) und zweitens bis Du u.U. so damit beschäftigt, Dich selbst zu analysieren, dass Du den Fokus für die Bewegung verlierst.

Ich achte darauf  beim Training so zu stehen, dass ich nicht von meinem Spiegelbild abgelenkt werde.

Das bedeutet nicht das Spiegel im Training immer schlecht sind, sondern nur ,dass sie bei all ihren Vorteilen (unmittelbares, optisches Feedback, besserer Überblick über den Trainingsraum) auch einige Eigenschaften haben, denen wir uns bewusst sein sollten.
Noch besser ist natürlich eine Bewegung synchron mit einem fortgeschritteneren Kameraden oder Trainer zu machen, um dessen saubereres Bewegungsmuster kopieren zu können.

Spiegelneuronen - Chance und Risiko

Wer sich des Wirkens der Spiegelneuronen bewusst ist, kann diesen Mechanismus zum eigenen und dem Vorteil seiner Nächsten einsetzen. Wer als Trainer der sein eigenes Verhalten darauf abstimmt wie er es gerne bei seinen Schülern sehen möchte, kann sich machen fruchtlosen Vortrag sparen. 
Für Eltern gilt das natürlich eben so - wenn Eltern darauf achten selbst Sport zu machen, dann machen die Kinder das automatisch nach. Umgekehrt ist kaum zu erwarten das jemand der seinen Kinder vom heimischen Sofa aus predigt endlich etwas mehr Sport zu machen und nicht ständig vor dem Fernseher zu sitzen dabei Erfolg hat.
Das Lernen neuer Bewegungen wird wesentlich erleichtert wenn man die Möglichkeit hat diese bei anderen abzuschauen. Selbst wenn Dir nicht alle Feinheiten einer neuen Übung klar sind - die Spiegelneuronen nehmen sie wahr.  




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