Mittwoch, 9. Januar 2013

Geist gegen Körper - wer gewinnt?

Gerade war Jahreswechsel, viele Zeitgenossen nutzen diesen besonderen Tag, um gute Vorsätze zu fassen. Mit ein bisschen Sekt im Blut fühlt man sich mutig und da kann einen der Gedanke, die Zigaretten wegzulassen, gesünder zu essen oder mehr Sport zu treiben nicht mehr erschrecken. Darum sieht man in den ersten drei Wochen des Jahres in Fitness-Studios und Bioläden viele neue Gesichter, während die Zigarettenautomaten etwas länger gefüllt bleiben ;-)

Aber ach, wenn dann der Alltag zuschlägt.... zähneknirschend stellt man fest, dass das super günstige Einsteiger-Paket im Studio eine 24-monatige Laufzeit hatte (hat ja damals nichts ausgemacht, wir wollten ja unser Leben von Grund auf ändern); das teure Gemüse aus dem Bioladen vergammelt im Kühlschrank, während Kartons vom Pizza Service und Spar-Menüs vom nächsten Fast Food Laden sich langsam wieder zu stapeln beginnen. Ja und irgendwoher hat sich dann doch wieder eine Schachtel Kippen eingefunden.
Spätestens Mitte Februar müssen die meisten Leute erst mal scharf nachdenken, wenn sie nach Ihren Neujahrs-Vorsätzen gefragt werden.

Warum setzen wir gute Vorsätze so selten in die Tat um?



Die Idee für den Artikel kam mir in meinem gestrigen Workout: seit ein paar Wochen habe ich den  Long Cycle (Clean/Jerk) im Programm. Ein Mal die Woche greife ich mir meine zwei 24er und quäle mich 20 Minuten lang. Mein kurzfristiges Ziel ist es 40 Sets mit 15 sec on / 15 sec off und 3 Whd: pro set durchzuhalten. Langfristig sollen die 32er folgen.

Der folgende Dialog findet jeder Woche statt:


Geist (er fängt immer an): Hey, heute ist wieder Long Cycle angesagt!
Körper: Hm.
Geist: Diesmal ziehen wir's durch! - Vielleicht gleich ein paar Sets mit 32 kg. Heute ist ein guter Tag. Überleg mal wie fit wir werden!
Körper: Bist Du sicher, mir kommt heute nicht so günstig vor - schau mal hier zwickt es und müde bin ich auch noch.
Geist: Ok, dann halt keine 32er; aber wir ziehen es durch!
Körper: Aber vorher würde ich mich gerne noch ein bisschen ausruhen - wegen der besserEn Performance ;-)
Geist: Ok aber nur 10 Minuten - und richt schon mal die Kettlebells her.
Geist: Hey jetzt sind schon 30 Minuten um - los gehts.
Körper: Moment, muss noch aufs Klo und lass uns noch schnell eine Flasche Wasser holen.
Körper: Ich glaub da ist gerade noch ein E-Mail gekommen.
Geist: Nix da! Das kann zwanzig Minuten warten.
Körper: Ok, ok - ich mach ja schon :-(. Aber die Zeit für ein schönes Warm Up muss sein - und wir könnten heute auch ein bisschen an der Technik arbeiten.
Geist: Jetzt ist aber genug mit Warmup - schalt endlich den Gym Boss ein.
---Jetzt beginnt das Workout---
Körper (Set 1): Boa, bist Du sicher, dass das 24er Kettlebells sind, die fühlen sich heute echt schwer an!
Geist : Halt die Klappe und mach weiter.
Körper (ca. Set 15): Hey heute sollten wir es glaub ich nicht übertreiben. Lass uns doch etwas weniger machen. Eigentlich reicht's doch schon.
Geist: Nix da, mach weiter, hast schon fast die Hälfte.
Körper (irgendwann danach): Jetzt ist aber wirklich genug - schau mal, da tut es schon ein bisschen weh und die Lunge brennt auch schon seit 5 Minuten.
Geist: Stell dich nicht so an. Denk an den Trainings-Erfolg, der sich sicher einstellt.
Körper: Bla, Bla.

Und glaubt ja nicht, dass sich mein Geist jedes mal durchsetzt ;-)


Um einen Vorsatz in die Tat umzusetzen, müssen Geist und Körper an einem Strang ziehen. Der eine schiebt an, der andere bremst - wie im Auto. Ohne Bremsen geht es in den nächsten Graben, ohne Gaspedal nirgendwo hin. Nur das Zusammenspiel beider ergibt eine sichere Fahrt.

Die Gegenspieler





Schauen wir uns die beiden ungleichen Gesellen doch erst einmal einzeln an:


Unser Körper

Eine hochspezialisierte Maschine, dazu optimiert das Überleben des Individuums, sowie der Spezies zu gewährleisten. Wenn es darum geht in einer ständig wechselnden und oft gefahrvollen Umwelt zu bestehen, sind Spitzenleistungen eher Nebensache - vorsichtig sein und Reserven schaffen ist hier eine erfolgversprechendere Strategie. Wehr weiß, was noch auf einen zukommt! Der Weg des geringsten Widerstandes ist der ideale Pfad, um sicher durch unbekanntes Gelände zu navigieren.
Durch gnadenlose Auslese wurden diese Eigenschaften über tausende Generationen perfektioniert. Sie sind in unserer Hardware fest verdrahtet:

  • Vorsicht /Ängste: Instinkte, die Dich vor Gefahren-Situationen warnen.
  • Reserven schaffen: Jedes bisschen Energie, das zugeführt wird, wird verwertet - und sei es als Reservereifen an Hüfte oder Bauch.
  • Energieerhaltung: Die natürliche Tendenz, Anstrengungen zu meiden und das Leben so leicht wie möglich zu machen.




Unser Geist

Ein Visionär, einzigartig auf diesem Planeten. Immer auf dem Weg zu neuen Ufern und noch höheren Gipfeln. Immer getrieben.... Seine Domäne ist Entwicklung und das Streben nach dem Ideal.
Er ist es, der an Neujahr Beschlüsse fasst - dem kein Berg zu steil und kein Weg zu weit scheint.
Er treibt Menschen dazu einen Gipfel zu erklimmen, einen Marathon zu laufen oder riesige Gewichte zu stemmen.


Um diese beiden zur Zusammenarbeit zu bewegen, müssen wir beiden Rechnung tragen - auf die Bedürfnisse beider eingehen. Ein knallharter Geist richtet den Körper zu Grunde - ein zu schwacher aber eben so. Der Mittelweg ist der richtige und ihn zu finden die Kunst. Ying und Yang.



Und wie genau finde ich diesen Mittelweg?


Eine exakte Gebrauchsanleitung kann ich leider nicht geben, aber ein paar Tricks kann ich anbieten:


  • Never say never - Aussagen wie "Das schaff ich nie!" sind selbst erfüllende Prophezeiungen. Gewöhne sie Dir strikt ab. Jedes Mal, wenn Du so etwas sagst oder auch nur denkst, verurteilst Du Dich selbst. Nur weil Du den Weg zu Deinem Ziel noch nicht kennst, bedeutet es nicht, dass Du ihn nicht finden kannst.
  • Listen to your Body - Dein Körper gibt Dir klar zu verstehen, wann Du ihn fordern kannst und wann er Ruhe braucht. Lerne die Signale zu erkennen. Ruhe bedeuten nicht zwangsläufig bewegungslos auf der Couch zu liegen - Gas raus nehmen reicht oft schon. Jedes Mal, wenn Du die Signale ignorierst, wirst Du dafür bestraft: längere Erholungszeiten oder sogar Verletzungen schmälern Deinen Fortschritt.
  • The two most powerful warriors are patience and time - Hab Geduld und brich nichts übers Knie, wenn Du dran bleibst, kommst Du ans Ziel. Meister Kwon Jae Hwa hat einmal gesagt: " Ein Schwarzgurt ist nur ein Weissgurt, der nie aufgehört hat"
  • Make deals - In der Vermittlung zwischen den ehrgeizigen Zielen des Geistes und den Bedürfnissen des Körpers finde ich es immer hilfreich, mit keinen Deals zu arbeiten. Wenn beispielsweise ein hartes Workout ansteht und ich gerade Lust auf etwas Süßes habe, verschiebe ich den Genuss auf nach dem Workout - wo mein Körper die viele Energie auch sinnvoll nutzen kann. Ein anderes Beispiel: Kürzlich habe ich Robert Rimoczi, Senior RKC, gefragt, wann er denn sein, in die Jahre gekommenes Hardstyle Mobil ersetzen will - seine Antwort: "Mein Kennzeichen ist KB 4848, die Kiste wird erst verkauft, wenn ich zwei 48 kg Kettlebells drücken kann".
  • Many small steps cover more distance than few big jumps - Gerade Anfänger, die damit beginnen, eine neue Sportart auszuüben, erliegen oft dem Irrglauben, dass die anfänglichen Fortschritte immer so weiter gehen müssen - dem ist nicht so! Egal welches Programm Du verfolgst und egal wie gut Dein Trainer ist - in den ersten paar Monaten lernst Du immer extrem schnell. Sobald aber diese "Low hanging fruits" abgeerntet sind, flacht die Kurve massiv ab.
    Andy Bolton schrieb in seinem Buch 'Deadlift Dynamite' (Leseempfehlung): er kenne haufenweise Leute, die ihren Deadlift im ersten Jahr von 60 kg auf 227,5 kg gesteigert haben. Er selbst hat dagegen fünf Jahre gebraucht, um von 1003 lbs auf 1008 lbs (nicht mal 2,5 kg) zu kommen. Lass Dich nicht entmutigen, wenn die Fortschritte kleiner werden - freu Dich: Du bist jetzt kein Anfänger mehr. Wer nicht aufgibt, kommt praktisch immer ans Ziel.
    "Fortschritt ist Fortschritt - egal ob gross oder klein"
  • You are good as you are - but you can always get better - Wo auch immer Du in Deiner sportlichen (oder sonstigen) Entwicklung gerade bist - es ist gut so. Aber vergiss nicht, dass es immer weiter geht. Verpflichte Dich selbst dazu, Deine Entwicklung voranzutreiben, folge Deinen Visionen. "Gib niemals auf!" 
  • Celebrate victory - but learn from defeat -Freu Dich an Deinen Erfolgen und Deinen Rückschlägen. Erfolge sind nett, sie streicheln die Seele. Rückschläge sind wertvoll, denn aus ihnen kannst Du lernen!









4 Kommentare:

  1. Hi Florian,

    leck mich am Arsch ist das ein guter Artikel mit wahren und nicht immer leicht hinzunehmenden Fakten und Erkenntnissen! Fernab vom Einheitsbrei.

    Entschuldige der Wortwahl. ;)

    Zwei dicke Daumen nach oben!!

    Gruß,
    Rosch.

    PS: Eine Dragondoor 28kg kommt diese Woche bei mir an und will geswingt und gepresst werden. :)

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  2. Vielen Dank für diesen Blogpost! Deckt so einiges auf, was "eigentlich" offensichtlich ist.

    Viele Grüsse,
    Thomas

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  3. Super Artikel!
    Kann mich nicht erinnern, einen vergleichbar guten gelesen zu haben.
    Die Tipps sind klasse!
    Danke Florian.

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